Keine Überwachung bei Online-Prüfungen
Positionierung zum Gesetzesentwurf des "Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sächsischen Hochschulfreiheitsgesetzes"

29 May 2022

Auf Hinweis der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS) haben wir uns mit dem Gesetzesentwurf des “Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sächsischen Hochschulfreiheitsgesetzes” bzw. der entsprechenden Beschlussempfehlung auseinandergesetzt. Wir teilen weite Teile der Kritik der KSS und fordern einen expliziten Ausschluss digitaler Prüfungsüberwachung und eine gesetzlich gesicherte Freiwilligkeit digitaler Prüfungen außerhalb der Hochschule.

Freiwilligkeit von Online-Prüfungen

Hochschulen können und dürfen nicht davon ausgehen, dass jede*r Studierende im Privaten über die nötigen Voraussetzungen für eine digitale Prüfung außerhalb der Hochschule verfügt (wie eine stabile Internetverbindung, einen ruhigen Arbeitsplatz oder ein ausreichend leistungsfähiges Endgerät). Davon betroffenen Studierenden darf durch eine digitale Durchführung von Prüfungsleistungen kein Nachteil entstehen. Daher muss von Seiten der Hochschulen sichergestellt werden, dass es allen Studierenden (mindestens im Einzelfall) freisteht, digitale Prüfungen immer auch in der Hochschule und mit Hochschulressourcen abzulegen. Eine gesetzliche Verpflichtung dazu könnte das absichern und würde für eine Bildungspolitik stehen, die für Chancengerechtigkeit ihrer Studierenden eintritt.

Ausschluss digitaler Prüfungsüberwachung

Eine (unfreiwillige) audio-visuelle Überwachung der Studierenden und ggf. auch deren räumlicher Umgebung greift tief in die Persönlichkeitsrechte der Studierenden ein. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I iVm Art. 1 I GG) gewährleistet jeder Person, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung der eigenen personenbezogenen Daten zu bestimmen. Dies wäre bei einer verpflichtenden Videoüberwachung nicht mehr gewährleistet. Vor diesem Hintergrund schließen wir uns der Einschätzung der Sächsischen Datenschutzbeauftragten Dr. Hundert an, die davon ausgeht, dass eine Videoüberwachung nur bei Freiwilligkeit zulässig ist. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf wurde bereits dahingehend erweitert, dass - wie von Dr. Hundert vorgeschlagen - die Freiwilligkeit einer Videoaufsicht in die Beschlussempfehlung aufgenommen wurde. Wir begrüßen das, halten es aber keinesfalls für ausreichend.

Wir zweifeln daran, dass in der Praxis eine tatsächliche Freiwilligkeit bei der Entscheidung über Zustimmung oder Ablehnung einer digitalen Prüfungsüberwachung und damit eine wirksame Einwilligung der Studierenden überhaupt erreicht werden kann. Wird Studierenden - regulär oder aufgrund einer Ausnahmesituation wie der Corona-Pandemie - freigestellt, an der Prüfung zum regulären Zeitpunkt unter Videoüberwachung teilzunehmen, oder den Prüfungszeitpunkt in ein anderes Semester zu verlegen, zweifeln wir an dem Vorliegen einer freien Entscheidung; Denn nicht jede*r kann oder möchte eine Verlängerung der Studienzeit in Kauf nehmen. Wenn eine Prüfungsform regulär immer unter Videoüberwachung erfolgen soll, könnte das Verschieben des Prüfungszeitpunkts noch nicht einmal zur Wahl gestellt werden. Eine Freiwilligkeit und damit die Möglichkeit, eine Prüfung über digitale Überwachung zu beaufsichtigen, ist in diesem Fall also ohnehin ausgeschlossen.

Gemäß Art. 6a DSGVO ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten (also z. B. eine Verarbeitung von Bild und Ton bei Videoüberwachung) zudem nur dann rechtmäßig, wenn eine Einwilligung der betroffenen Person vorliegt. Der Erwägungsgrund 43 DSGVO schränkt die Annahme der Freiwilligkeit einer Einwilligung (vgl. Art. 4 Nr. 11 DSGVO) insbesondere bei einem Ungleichgewicht zwischen der betroffenen Person und der*dem Verantwortlichen stark ein. Zwischen der Institution Hochschule und Studierenden besteht ein derartiges Ungleichgewicht. Es scheint deshalb fraglich, wie überhaupt eine wirksame Einwilligung eingeholt werden soll.

Abgesehen von der zweifelhaften Freiwilligkeit und damit Wirksamkeit von Einwilligungen in digitale Prüfungsüberwachung halten wir diese auch nicht für verhältnismäßig: Um Online-Prüfungen fair durchführen zu können, steht mit der Zulassung von (mehr) Hilfsmitteln ein mindestens gleich geeignetes, aber wesentlich milderes Mittel zur Verfügung. Die Beeinträchtigungen der Persönlichkeitsrechte der Studierenden erscheinen daher nicht verhältnismäßig. Es scheint uns in Betrachtung der vielen entgegenstehenden Gründe wesentlich sinnvoller, audio-visuelle Überwachung für digitale Prüfungen nicht nur auf Freiwilligkeit zu beschränken, sondern allgemein auszuschließen

Extreme Formen digitaler Prüfungsüberwachung

Eine besondere Gefahr sehen wir in der Nutzung von automatisierten oder hybriden Überwachungssystemen gegen Studierende. Dabei befürchten wir Versuche seitens der Hochschulen, z. B. mittels Eye-Tracking oder automatischer Audioanalyse Täuschungsversuche zu ermitteln. Gemäß Art. 22 I DSGVO darf eine Person grundsätzlich keiner ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhenden Entscheidung unterworfen werden. Für die Möglichkeit der Einwilligung (Art. 22 II lit. c DSGVO) in eine derartige Maßnahme gelten unsere oben ausgeführten Bedenken entsprechend. Zudem möchten wir auf den Druck hinweisen, den ein solches System auf die Studierenden ausübt, ein (vermeintlich) durch die Software “gewünschtes” Verhalten zu zeigen.

Darüber hinaus warnen wir davor, zu versuchen, das Verhalten von Studierenden während der Prüfung durch Überwachung der genutzten Endgeräte zu protokollieren oder zu beeinflussen. Zugriffsberechtigungen einer derartigen Software ließen sich bei ordnungsgemäßer Nutzung technisch nicht begrenzen. Die Software würde also die Vertraulichkeit und Integrität des Endgeräts aufheben und die Maßnahme somit in den Schutzbereich des Rechts auf Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (Art. 2 I iVm Art. 1 I GG) fallen. Außerdem wäre ebenfalls der Schutzbereich der Informationellen Selbstbestimmung betroffen. Zudem scheint es uns fragwürdig, ob sich eine solche Lösung implementieren ließe, ohne dass manche Studierende sich mithilfe technischer Kenntnisse einen Vorteil durch Umgehen der Software verschaffen könnten. Damit stellt sie weder einen wirksamen Schutz vor Betrugsversuchen in Prüfungen dar, noch ist die bezweckte Chancengerechtigkeit gewährleistet.

Zusammenfassung

Von der vorliegenden Gesetzesinitiative erhoffen wir ein Verbot digitaler Prüfungsüberwachung, insbesondere in den geschilderten extremen Formen der automatisierten Verhaltensanalyse und der Beobachtung durch das private System der Studierenden. Zudem fordern wir eine Regelung für eine tatsächliche Freiwilligkeit der Prüfungsform durch eine Verpflichtung zur Schaffung einer zeitgleichen und gleichwertigen Alternative. Vor dem Hintergrund des langfristigen Wirkens dieser Gesetzesänderung hoffen wir, dass die noch offenen und diskussionswürdigen Punkte nicht in die Verwaltung deligiert werden, sondern der Landtag mit einem klaren Bekenntnis zu Datenschutz einer modernen Hochschulpolitik den Weg bereitet.


Stellungnahme der KSS

Ursprünglicher Gesetzesentwurf

Beschlussempfehlung des Fachausschusses (Anlage 3: Stellungnahme der Sächs. Datenschutzbeauftragten)